Der Brief fuer den Koenig

„Der Brief für den König“ (Original: De Brief voor de Koning) ist die Verfilmung von Tonke Dragts gleichnamigem Bestseller, der in den Niederlanden zum besten Jugendbuch der letzten 50 Jahre gewählt wurde. Die Geschichte handelt von Tirui, einem jungen Schildknappen im Königreich Dagonaut, der vor seiner letzten Bewährungsprobe steht, bevor er zum Ritter geschlagen werden soll: Eine Nacht müssen die Schildknappen schweigend in der Kappelle wachen und dürfen niemandem das Portal öffnen. Natürlich öffnet Tiuri es dennoch, als von draußen drängendes Klopfen und Hilferufe ertönen, denn sonst gäbe es keine Geschichte. Er erhält von einem sterbenden Ritter einen wichtigen Brief für den König des Nachbarlandes Unauwen und macht sich auf eine gefährliche Reise durch dichte Wälder, schneebedeckte Berge und fremde Städte, verfolgt von roten Reitern, grauen Rittern und wandelbaren Spionen.

Obwohl sich Tiuris Abenteuer in einer fiktiven Welt abspielen, ist es eine rein mittelalterliche Welt ohne Magie und Monster. Erfreulicherweise wurde auf Studioaufnahmen zum größten Teil verzichtet; der Film kann mit historischen Gebäuden und grandiosen Landschaften überzeugen. Als Kulisse für Dagonauts Schloss diente das bekannte Eilean Donan Castle in Schottland, und ich meine, die Zollbrücke am Regenbogenfluss als die Brücke über den Tay bei Dunkeld (ebenfalls Schottland) erkannt zu haben. Die Dreharbeiten haben sich aber nicht nur auf Schottland beschränkt, sondern fanden auch in Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg statt. Die einzige enttäuschende Kulisse stellte die Stadt Dangria dar, denn hier wurde versucht, eine existierende Stadt (Eisenach in Thüringen) alt aussehen zu lassen, was leider gänzlich misslungen ist, da man vielen Hausfassaden auf den ersten Blick das 19. oder gar 20. Jahrhundert ansieht.

Die Kostüme waren im Großen und Ganzen vernünftig. Die türkisen Tuniken im Schloss von Unauwen haben bei mir zwar fast Augenkrebs verursacht, so unangenehm hoben sie sich von der Umgebung ab, aber bis auf diese Ausnahme war die Farbwahl wirklich gut. Iridian hätten sie eine bessere Perücke verpassen sollen, er sieht ziemlich dümmlich aus, und den armen Schreiber des Bürgermeisters von Dangria haben sie dermaßen heftig geschminkt, dass er mit seinen fettigen, schwarzen Haarsträhnen und dem totenbleichen Gesicht mit den Blut unterlaufenen Augen unweigerlich an Grima Schlangenzunge in „Herr der Ringe“ erinnerte. Besonders gefreut hat es mich auf jeden Fall, dass daran gedacht wurde, die Kleidung der Reisenden im Laufe der Zeit dreckiger werden zu lassen und dass die Schilde der Ritter verbeult und zerkratzt waren. Es gibt nichts schlimmeres als Ritter in ewig strahlenden Rüstungen, die so aussehen, als hätten sie noch nie einen Kampf durchstehen müssen.

Der einzige nennenswerte Kampf (Angriff der Roten Reiter am Blauen Fluss) wirkte besser, als ich erhofft hatte. Ich bin kein Freund dieser neumodischen Kameraführung bei Kämpfen, und ich hatte befürchtet, wieder so eine wilde Mischung aus Kameraschwenks und –schnitten vorgesetzt zu bekommen, wie ich es vor einigen Wochen bei Krabat erlebt habe, wo ich genau so gut während der Kampfszene die Augen hätte schließen können, da eh keine klaren Bilder zu erkennen waren. Zum Glück war das nicht der Fall. Yannick van de Velde, der Darsteller des Tiuri, scheint sich auch große Mühe mit dem Schwertkampf gegeben zu haben, laut diverser Interviews mussten sie nur selten ein Kampfdouble einsetzen. Für amüsiertes Gelächter sorgte allerdings eine Szene, in der Tiuri ein Schwert mit bloßen Händen an der Klinge fängt, ohne sich zu verletzen. Kurze Zeit später wird die Schwertspitze mit Druck an seinem Gesicht hin und her bewegt, wieder ohne einen Tropfen Blut. Das Schwert müsste wohl dringend mal geschärft werden!

Der bereits erwähnte Schreiber des Bürgermeisters war übrigens nicht der einzige, der in mir Erinnerungen an „Herr der Ringe“ wach rief. Frei nach dem Motto, „Jede gute Geschichte braucht einen Sam“, findet Tiuri in dem Bergjungen Piak ja einen genau so getreuen Gefährten wie Frodo in Sam. Als die beiden den letzten schneebedeckten Hügel hinter sich lassen und den ersten Blick auf die weite Ebene des Landes Unauwen werfen, fühlte ich mich schlagartig an die Szene erinnert, wo Sam stehen bleibt und zu Frodo sagt, „Wenn ich noch einen Schritt mache, dann bin ich so weit von Zuhause weg wie nie zuvor!“. Und als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Piak eine Sekunde später zu Tiuri: „Ich bin sehr gespannt, wie es dort unten aussieht, so weit fort war ich noch nie!“. Um das Bild der zwei Hobbits perfekt zu machen, ließ dann auch der nächste Sam-Kommentar nicht lange auf sich warten: „Geh so weit mit, wie er Dich brauchen kann, das hat er gesagt. Ich lasse Dich nicht im Stich!“

Piak ist ganz eindeutig das Herz der Geschichte, er ist genau so Hauptperson, wie Tiuri es ist. Deshalb bin ich unglaublich froh, dass sie Piak so gut besetzt haben. Zwar fällt mir jetzt spontan eh kein Charakter ein, den ich als fehlbesetzt bezeichnen würde, die Schauspieler haben ihre Sache alle sehr gut gemacht, aber bei Piak war es mir eben besonders wichtig. Die ganze Zeit schon hatte ich auf das erste Zusammentreffen mit Piak gewartet, fröhlich auf einer grünen, sonnen beschienenen Bergwiese und die Ziegen hütend. Stattdessen herrschte schon bei Tiuris Aufstieg zur Berghütte tiefster Winter, und oben stapfte Piak in dicke Felle und Schneeschuhe gekleidet umher. Trotzdem war es sofort Piak! Quinten Schram spielt Piak einfach genau so, wie er im Buch beschrieben ist: Treu und tapfer, naiv, aber nicht dumm. Aufmerksam und neugierig auf alles, was sich jenseits der Berge befindet, aber trotzdem tief verwurzelt in den Bergen und mit dem Einsiedler Menaures. Seine sehr gut gewählte Synchronstimme trägt dann auch noch dazu bei, dass man ihn schon nach wenigen Augenblicken ins Herz schließt, und wenn die beiden dann anfangen, beim Reiten ihr Vers-Lied zu singen, ist es ganz vorbei.

 Trotz allen Lobes gibt es auch einiges, was ich in dem Film schwer vermisst habe. Dass bei der Umwandlung von Buch zu Film vieles weggestrichen werden muss, war mir klar, und ich bin ganz sicher nicht mit der Erwartung ins Kino gegangen, eine 1:1 Umsetzung des Buches präsentiert zu bekommen. Am Anfang des Films, als die Jungen ihre Nachtwache in der Kapelle halten, da habe ich mich noch gefreut und mir gedacht, dass das endlich mal wieder ein Film ist, der einer Szene die nötige Zeit zugesteht, um sich entfalten und richtig wirken zu können. Da war keine Hintergrundmusik, gar nichts, nur die schweigenden Jungen kniend in der Kapelle, die sich immer mal wieder anders hinsetzen oder sich stumme Blicke zuwarfen.

Leider wurde die Geschwindigkeit nach der Kapell-Szene stark angezogen, so dass vieles zu kurz kam. Der Überfall der Räuber im Wald hätte so gut wirken können, wenn Tiuri seine Antwort (Finger oder Ring) wenigstens noch ein oder zwei Sekunden hinaus gezögert hätte. Dadurch, dass diese Opferbereitschaft Tiuris so rasant abgehandelt wurde, konnte sich beim Publikum überhaupt keine Spannung aufbauen.

Tiuris Aufenthalt im Braunen Kloster wurde gleich gänzlich weggelassen, doch da es für die Weiterentwicklung der Geschichte nicht von Bedeutung war, halte ich das für eine gute Entscheidung.

Die Szenen auf Schloss Mistrinaut gefallen mir sehr gut. Gewünscht hätte ich mir bloß, sie hätten nicht heraus gekürzt, dass Tiuri laut Buch erst von Lavinia heimlich Kettenhemd und Schwert erhält und kurz darauf auch Lavinias Vater mit den gleichen Gaben im Geheimgang auftaucht, um Tiuri auszurüsten. Dadurch, dass im Film nur Lavinia ihm zu Hilfe kommt, wirkt der Charakter ihres Vaters Sigirdiwarth Rafox wie eine Marionette, der sich in seinem eigenen Schloss die Fäden aus der Hand nehmen lässt.

Die Widerstandskämpfer im Wirtshaus zum Weißen Schwan haben mir gefehlt, das haben Tiuri und Piak nicht mal von innen gesehen, obwohl ich für einen Moment echt Hoffnung hatte. Zu wenig erklärt wurde auch die ganze Sache mit Slupor. Zwar erwähnt Jaro, dass Slupor ein gefährlicher Gegner ist, aber anders als im Buch erwähnt er nicht, dass Slupor ein Spion ist, ein Meister der Tarnung. So wird wahrscheinlich manchem Zuschauer entgangen sein, dass Slupor mehrmals in verschiedenen Verkleidungen auf Tiuri trifft, denn auch im Nachhinein wird das nie aufgeklärt. Anders herum, nämlich durch zu viele Erklärungen, wird allerdings auch ein Schuh draus: Ich finde es sehr schade, dass Menaures Tiuri gleich zu Anfang bei ihrer ersten Begegnung davon in Kenntnis setzt, dass er (Menaures) ein Zwillingsbruder des Königs Unauwen ist. Dadurch war Tiuris Erstaunen über diese Erkenntnis beim Anblick von Unauwen natürlich im Eimer. 

Auch habe ich zwei Personen vermisst, auf die ich mich sehr gefreut hatte. Zum einen ist da Marius, der Narr aus der Waldhütte. Er ist zwar für die Geschichte im „Brief für den König“ nicht weiter wichtig, aber in der Fortsetzung „Der Wilde Wald“ hat er dafür eine umso tragendere Rolle. Kann man nur hoffen, dass sie ihn dann in der Fortsetzung verspätet noch vernünftig einführen können. Die andere Person, die mir wirklich gefehlt hat, ist Tirillo, der gleichzeitig Hofnarr und 1. Ritter von König Unauwen ist. Neben Piak ist er meine Lieblingsgestalt, weil er es auf einzigartige Weise schafft, Weisheit mit Frohsinn, guten Rat mit Schabernack zu verbinden. Hoffentlich bekommen wir im „Wilden Wald“ mehr von ihm zu sehen!

Besonders gefehlt haben mir – welche Überraschung – einige Szenen mit Piak und Dialoge zwischen ihm und Tiuri. Zwar bringen sie die Handlung zugegebenermaßen nicht voran, aber solche Momente sind das Herzstück des Buches. Zum Beispiel bewundert Tiuri an seinem ersten Morgen in den Bergen den unglaublichen Ausblick, worauf Piak ganz nachdenklich wird und über sich selbst verwundert feststellt, dass er das gar nicht wahr nimmt, sondern sich immer nur sehnsüchtig fragt, wie es unten wohl aussehen möge. Als Piak und Tiuri im Buch die Stadt Dangria erreichen, hat Tonke Dragt so lebendig beschrieben, wie Piak mit großen Augen versucht, überall zugleich hinzuschauen und sämtliche Eindrücke seines ersten Besuches in einer Stadt in sich aufzusaugen. Im Film läuft Piak hinter Tiuri her, als sei es nichts besonderes, plötzlich zwischen Menschenmassen und Häusserreihen herzulaufen, wenn man vorher nur die Einsamkeit der Berge kannte. Und am meisten gefehlt hat mir ein Satz ganz zu Ende der Geschichte, als Piak Tiuri in Dargonaut wieder trifft, ihn freudig umarmt, dann Tiuris ritterliche Kleidung bemerkt und ganz schüchtern fragt, ob er ihn nun überhaupt noch einfach Tiuri nennen dürfe. Das war so herzig und so ein schöner Abschluss, das habe ich echt vermisst.

Kleiner Schocker noch zum Schluss: Ich bin ein beim-Abspann-sitzen-Bleiber und hatte mich auf das sehr passende Titellied von Jan Smit gefreut, musste dann aber entsetzt feststellen, dass es für die deutsche Version des Films ebenfalls auf Deutsch synchronisiert worden war und nun klang wie ein ganz grausiger Schlager, also nichts wie raus aus dem Kino ;-)

Fazit: „Der Brief für den König“ setzt die Reihe der gelungenen niederländischen Filmproduktionen der letzten Jahre fort und muss sich nicht schämen, in einem Regal mit Filmen wie „Das Geheimnis des Siebten Weges“ (ebenfalls von Tonke Dragt), „Die Bockreiter“, „Die Geheimnisvolle Minusch“ oder „Kreuzzug in Jeans“ zu stehen. Letzteres wird ältere Jugendliche und Erwachsene wahrscheinlich mehr überzeugen können, da bei „Der Brief für den König“ sorgsam darauf geachtet wurde, dass die Geschichte zwar spannend bleibt, dabei aber nie zu unheimlich oder gar brutal zu sein. Es ist ein familienfreundlicher Abenteuerfilm, den ich ohne Bedenken jedem Kind ab 7 Jahren in Begleitung eines Erwachsenen empfehlen würde. Noch mehr kann ich allerdings jedem Kind und Kindgebliebenem empfehlen: Lest die Bücher, das lohnt auf alle Fälle

 

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