Buchbinden

Alte Handwerkskünste haben mich schon immer fasziniert. Ich habe mich schon an allerlei versucht, Wolle spinnen mit Handspindel und Spinnrad, Schustern, Korbflechten, aber die Buchbinderei hat mich am stärksten in ihren Bann gezogen, weil ein schön gebundenes Buch etwas ganz Wertvolles ist und von mir mit der gleichen Ehrfurcht behandelt wird wie eine juwelenbesetzte Krone aus Gold. Vermutlich gehört auch unter anderem deshalb Cornelia Funkes Tintenherz-Trilogie zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, da sie eine Hommage an die Buchbinderei, an die zauberhafte Welt der Bücher im Allgemeinen und an die vom aussterben bedrohte Kunst des Vorlesens ist.

Nun aber genug der Schwärmerei, Ihr wollt ja hier etwas darüber erfahren, wie ein Buch entsteht, nicht wahr? Das letzte Buch, was ich gebunden habe, war ein Geschenk für einen ganz besonderen Freund, mit dem ich viele spannende, lustige und rührende Erinnerungen verbinde, innerhalb und außerhalb unseres Rollenspiels, und dem ich auch einfach so danken wollte dafür, dass er so ist wie er ist.

Nun denn, die Ärmel hochgekrempelt, in die Hände gespuckt und frisch ans Werk:

Schritt 1 (Stunde 0) – Geschichte zusammenpuzzeln

Auf meinem Bildschirm tummeln sich dutzende kleinere und größere Textdateien mit Rollenspiel-Logfiles. Als erstes müssen sie sortiert und sinnvoll aneinander gesetzt werden, damit eine fortlaufende Geschichte entsteht.

Schritt 2 (Stunde 3) – Vom Logfile zum Roman

Aus den einzelnen Dateien ist eine zusammenhängende Word-Datei mit 146 Seiten geworden. Unpraktischerweise liest sich ein Großteil der Logfiles so:

Sennah sagt: ich verstehe

Sennah fueht Asyn zum nordoestlichen Turm, steigt zwei treppen hinauf und oeffnet die Tuer zu einer Kammer. Darin stehen 3 Betten, von denen 2 nicht belegt zu sein scheinen

Sennah sagt: hier koennt ihr euch vorerst einrichten, Bordur findet Ihr

Sennah sagt: westlich des Burgfriedes

Also besteht meine nächste Aufgabe darin, die Geschichte in ein romantaugliches Format zu bringen.

Schritt 3 (Stunde 33) - Korrekturlesen

Durch das Umformatieren und die Einstellung „2 Seiten pro Blatt“ (da das fertige Buch später einmal DIN-A5-Format haben sollte) sind aus den 146 Seiten plötzlich 288 Seiten geworden. Das hatte ich nicht bedacht, also noch mal ab in die Metro und mehr Papier kaufen.

Nun, wo die Geschichte sich auch wie eine Geschichte liest, muss ich sie noch einmal durchgehen, ganz genau, um auch jeden kleinen Tippfehler zu entdecken, der einem beim Rollenspielen nun mal unterläuft. DAS dauert....

Schritt 4 (Stunde 93) - Umsortieren

Wer gedacht hat, das Korrekturlesen sei die Aufgabe, die die meiste Konzentration verlangt, dem muss ich widersprechen. Bevor die Geschichte endlich ausgedruckt werden kann, um dann mit dem „richtigen“ Buchbinden zu beginnen, muss man sie zum Ausdrucken neu sortieren. Wieso das? Weil beim klassischen Buchblock Seite 1 zum Beispiel keinesfalls neben Seite 2 liegt, sondern neben Seite 16. Ich werde weiter unten noch erklären, woran das liegt. Jedenfalls erstellt man sich am Besten eine Tabelle mit der Reihenfolge, in der sortiert werden muss. Falls es ein Programm gibt, was diese lästige Umsortierung übernimmt, habe ich es bisher nicht ausfindig machen können. So bleibt mir nur, Seite für Seite einzeln aus dem ursprünglichen Text heraus zu kopieren und an der entsprechenden Stelle in einer neuen Datei einzufügen. Der wichtigste Befehl bei diesem Arbeitsschritt ist auf jeden Fall das „Gehe zu“ (Strg+G), ohne dass man ewig und drei Tage mühsam auf und ab scrollen müsste.

                                

Schritt 5 (Stunde 113) – Noch mal Korrektur lesen

Manchmal könnte ich Word ja zum Fenster hinaus werfen. Bei jedem meiner Buchbinderprojekte hat sich während Schritt 4 IMMER irgendetwas dazwischen gemogelt, was dort nicht gewünscht ist. Ein Querbalken, eine Silbentrennung, ein Seitenwechsel,... also sicherheitshalber alles noch einmal durchlesen und solche Ärgernisse beseitigen.

Schritt 6 (Stunde 118) - Ausdrucken

Nun geht es endlich ans Ausdrucken! Parallel dazu sehr ich gleich nach, ob die Seiten auch wirklich die richtige Reihenfolge haben. Das geht sehr schnell voran, und das marmorierte Papier macht sich prima für diese Fantasygeschichte. Sogar das Titelbild, was mir meine Freundin Christiane Bönnen netterweise gezeichnet hat, passt prima zum Papier, ich bin erleichtert und begeistert, als ich schließlich den losen Stapel Blätter in Händen halte. Der Anfang ist gemacht!

Schritt 7 (Stunde 120) – Falzen

Ab jetzt ist tatsächlich handwerkliche Arbeit gefordert. Falls man ein Buch herstellen will, dessen Seiten noch leer sind, überspringt man die ersten 6 Arbeitsschritte und setzt gleich hier ein. Als Erstes muss jede Seite in der Mitte gefaltet werden, und damit sie möglichst flach liegen, wird die Kante mit dem Falzbein nachgezogen. 

                                

Schritt 8 (Stunde 122) - Helfe falten

Was nun vor mir liegt, sind 144 gefaltete Blätter Papier. Ein schöner Stapel, sieht einem Buchblock schon nicht unähnlich, aber jede einzelne Seite für sich wäre viel zu schwach, dem Zug des Buchbindergarns Stand zu halten, sie würden reihenweise beim Durchblättern ausreißen. Deshalb legt man bei einem klassischen Buchblock immer 4 gefalzte Seiten ineinander, so dass in unserem Fall 36 Vierer-Hefte entstehen. Dadurch wird auch die seltsame Anordnung der Seiten beim Ausdrucken nötig, die in Schritt 4 beschrieben ist.

                                

Schritt 9 (Stunde 124) – Markierungen anbringen

An dem Stapel der einzelnen Hefte, der einem Buchblock jetzt schon sehr ähnlich sieht, müssen jetzt die Markierungen für die Einstichstellen beim späteren Vernähen angebracht werden. Bei einem Buch wie unserem, wo der Buchrücken die Kantenlänge DIN A5 hat, bieten sich 4 Markierungen im gleichen Abstand an, also nach 1,5 cm, 6 cm, 6 cm und noch mal 6 cm. Damit der Buchblock beim Markieren nicht verrutscht und die Markierungen tatsächlich bei jedem Heft an der gleichen Stelle landen, fixiert man den Buchblock mit Hilfe eines flachen Gegenstandes, zum Beispiel eines Lineals, während man die Markierungen einzeichnet.

                                

Schritt 10 (Stunde 124) – Löcher stanzen

An den Markierungen wird jedes Heft nun mit einer Ahle durchstochen.

                                

Schritt 11 (Stunde 125) – Buchblock vernähen

Hmpf, wie beschreibe ich diese Nähtechnik ohne passendes Bild? Eventuell liefere ich noch eins nach, jetzt  müsst Ihr erst einmal mit der Beschreibung zurecht kommen. Man verwendet Buchbindergarn und eine stumpfe Nadel, die der Einfachheit halber idealerweise gebogen sein sollte.

Nummeriert die 4 Löcher in jedem Heft mal gedanklich von unten nach oben durch.

Rein durch Loch 1 von Heft 1.

Raus durch Loch 2 von Heft 1.

Rein durch Loch 3 von Heft 1.

Raus durch Loch 4 von Heft 1.

Rein durch Loch 4 von Heft 2.

Raus durch Loch 3 von Heft 2.

Rein durch Loch 3 von Heft 1.

Raus durch Loch 2 von Heft 1.

Rein durch Loch 2 von Heft 2.

Raus durch Loch 1 von Heft 1.

Rein durch Loch 1 von Heft 3.

Und so weiter...

Man verleiht dem ganzen Buchblock insgesamt mehr Festigkeit, wenn man jedes Mal dann, wenn man zu einem neuen Heft übergeht, die Nadel mit dem Faden einmal um die Fadenbrücke zwischen dem vorigen und dem neuen Heft schlingt.

        

Und dann die Belohnung für die Buchbinderin: der fertige Buchblock. Hach! Toll, den in Händen zu halten *rumhüpf*. Das gibt den nötigen Motivationsschub für den Rest.

        

Schritt 12 (Stunde 129) – Buchblock pressen

Damit das Buch sich später nicht unschön wölbt, um seinen Buchdeckel zu sprengen, kommt der Buchblock jetzt für mindestens 24 Stunden in die Presse.

                                    

Schritt 13 (Stunde 129) – Buchblock verleimen

Um dem Buchblock zusätzliche Stabilität zu geben, leime ich den Buchblock immer noch ein und lege einen Streifen Buchbindergaze auf. UND da ich finde, dass in jedes ordentliche Buch auch ein Lesebändchen gehört, lege ich eines zwischen Gaze und Buchblock. Hierbei muss man nur aufpassen, dass man es am richtigen Ende ansetzt, sonst hängt es später von unten nach oben im Buch, statt von oben nach unten ;-)

Mit dem Finger wird der Buchbinderleim, der in diesem Arbeitsschritt noch pur verwendet wird, gründlich verrieben. Das Ganze muss mindestens 5 Stunden trocknen.

                                    

Schritt 14 (Stunde 130) – Die Rohdecke basteln

Der spätere Buchdeckel besteht aus drei Komponenten: Vorderseite, Rückwand und Rückseite. Für Vorder- und Rückseite verwende ich einen möglichst dicken Karton, zum Beispiel von sehr festen Geräteverpackungen. Mein Karton ist 5 Millimeter dick. Für die Rückwand wird dünnere Pappe verwendet, da diese elastischer sein muss. Gut eignet sich die Rückseite eines College-Blocks.

                                      

Um die drei Komponenten zu verbinden, benutze ich einen Verbindungsstreifen aus Packpapier, auf dem ich etwa besagte 5 Millimeter (Kartonstärke) Abstand einzeichne, damit sich das Buch später auch zuklappen lässt.

                                      

Nun verrühre ich 1/3 Tapetenkleister mit 2/3 Buchbinderleim zu einer Leimmischung und streiche damit den Verbindungsstreifen ein. Alles bis auf die beiden 5 Millimeter breiten Streifen Abstand. Mit der Leimmischung wird grundsätzlich alles doppelt eingestrichen. Das erste Mal, damit sich das Material voll saugen und seine Poren öffnen kann und der Leimmischung beim zweiten Einstreichen optimalen Halt bietet.

                                      

Schritt 15 (Stunde 131) – Einband beziehen

Bei der Gestaltung des Einbands sind der Phantasie grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Ideal sind spezielle Vorsatzpapiere, die es im Buchbinderbedarf zu kaufen gibt, aber auch alle anderen Papiere lassen sich verarbeiten, solang sie nicht so hauchdünn sind, dass sie durch den Leim aufweichen und sich auflösen. Auch viele Stoffe eignen sich sehr gut, besonders Leinen. Für mein Buch habe ich mich zum ersten Mal an Leder heran getraut und war überrascht, wie gut es sich verarbeiten ließ.

                                      

Circa drei Monate nachdem ich damit begonnen hatte, die Logfiles zu sortieren, hielt ich das fertige Buch endlich in Händen. Der Löwe und das Reh. Eine Geschichte aus dem Silberland. Zusammengetragen von Paladin Took. Da ich bei der Geschenkübergabe fast erdrückt wurde und der Beschenkte das Buch in den folgenden vier Tagen von vorne bis hinten durchlas, gehe ich davon aus, dass meine Überraschung geglückt ist und er sich wirklich sehr darüber gefreut hat. Das war die knapp 135 Stunden reine Arbeitszeit wert :-)

 

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