Tag 01

Sonntag, 29.06.2008 (Tag 1)

Pünktlich um 10:50 Uhr hob unser kleiner Germanwings-Flieger ab. Ich hatt den Kampf um den Fensterplatz gegen Bianca gewonnen, und während ich so hinaus schaute, konnte ich noch gar nicht glauben, dass wir gerade tatsächlich nach Schottland flogen. Bianca träumt schon fast genau so lange von Schottland wie ich. Wir teilen die gleiche Begeisterung für den einmaligen Akzent der Schotten, Scottish Folk Music und vor allem für die atemberaubend schöne Landschaft, die wir bisher nur aus Filmen und Büchern kannten. Ich war sehr froh, dass Bianca mit dabei war! Zuerst sah es so aus, als könne sie sich den Urlaub nicht leisten, aber nachdem ich noch mal sämtliche Berechnungen auf ein Minimum zurück geschraubt und die Übernachtungen in den teuersten Hostels durch Übernachtungen im Mietwagen ersetzt hatte, gewann bei ihr doch das Fernweh die Oberhand. Trotzdem würde es wohl ein teurer Urlaub werden, ich rechnete mit knapp 1000 Euro für die 16 Tage, dann allerdings wirklich inklusive Flug, Übernachtungen, Mietwagen, Sprit, Besichtigungen und Lebensmitteln.

 Eigentlich konnte ich mir diese Reise genau so wenig leisten wie Bianca, aber seit ich 1996 zum ersten Mal den Film „Das Geheimnis von Loch Ness“ gesehen hatte, schlug mein Herz jedes Mal höher, wenn Schottland in einer Reportage oder in einem Spielfilm zu sehen war. Diese Sehnsucht nach diesem Land, in dem ich noch nie gewesen war, war immer stärker geworden, und als ich Ende letzten Jahres „Miss Potter“ angeschaut habe, der nicht einmal in Schottland gedreht wurde, sondern am britischen Lake District (der aber der Landschaft rund um den Loch Lomond sehr ähnelt), hatte ich das Gefühl, mir würde mein Herz zerspringen, wenn ich nicht jetzt sofort in einen Flieger stiege, der dorthin fliegt. Das war der Moment, wo ich entschieden habe, dass das ja so nicht weiter gehen kann, dass ich jedes Mal vor Fernweh fast vergehe, sobald mir ein Schnipsel schottische Landschaft unter die Augen kommt. Es wurde Zeit, ein für allemal heraus zu finden, ob Schottland wirklich so traumhaft war, wie ich es mir vorstellte!

Und jetzt saßen wir tatsächlich im Flugzeug. Wir waren beide völlig übernächtigt, und die Aufregung war das einzige, was uns wach hielt. Bianca war gestern Abend auf einem Linkin Park Konzert gewesen, und ich war hundemüde, weil ich bis halb 3 damit beschäftigt gewesen war, meine Sachen zu packen und vor allem Vorbereitungen für die Versorgung meiner sämtlichen Haustiere zu treffen. Jetzt wusste ich, wieso ich in den vergangenen drei Jahren nie wirklich in Urlaub war... um sicher zu stellen, dass mein Hund, die Katze, die beiden Kaninchen, der Feldhase, die Meerschweinchen und Fische von meinen Mietern (die verreisten nämlich unpraktischerweise zur gleichen Zeit) und natürlich die Blumen am Friedhof, im Innenhof und im Garten die zwei Wochen gut überstanden, musste ich insgesamt sechs Freunde und Nachbarn um Hilfe bitten. An diese Stelle dann auch schon mal vielen Dank an Jürgen, Sarah, Lotte, Moe, Alex und Sonja!

So, weiter geht’s: Bis wir den Ärmelkanal überquert hatten, war der Blick zum Boden wolkenfrei, aber kaum erreichten wir die britische Küste, zogen schwere Regenwolken über das Land. Nun ja, wie sagt mein Reiseführer so schön? „Das Wetter in Schottland ist nicht schlecht. Die Touristen sind nur unpassend gekleidet!“ Entsprechend vielseitig hatten wir unsere Kleidung ausgewählt. Von kurzem Rock über Jeans und Pullover bis hin zu Regenjacke war alles vertreten, deshalb konnte uns eigentlich nichts überraschen. Trotzdem war ich gespannt, ob Schottland mich mit ebenso grausigem Wetter empfangen würde, wie die Nordsee es seit Jahren tut. Ich vertrete immer noch die Meinung, sämtliche Postkarten, die Nordseestrände mit Sonne und blauem Himmel zeigen, sind Fotomontagen!

Um 11.35 Uhr Ortszeit (also 12:35 Uhr in Deutschland) landeten wir in Edinburgh. Beim Landeanflug riss die Wolkendecke auf und tauchte die Landschaft unter uns in das schönste Licht. Als wir aus der Maschine stiegen, blies uns als erstes ein mächtiger Windstoß entgegen, der uns fast zurück ins Flugzeug taumeln lässt. Dass Bianca und ich daraufhin einen lauten Jubelruf ausstießen, führte bei den anderen Fluggästen zu verständnislosem Stirnrunzeln. Aber für uns war die Böe wie ein Willkommensgruß! Willkommen in Schottland!

Die schottischen Gepäckleute arbeiten sehr viel schneller als die in Deutschland, denn als wir am Gepäckband ankamen, lief das Gepäck unseres Fliegers schon darüber, die meisten Leute waren sogar schon mit ihren Koffern verschwunden. Bianca fand ihre Reisetasche auch direkt, nur nach meinem Gepäck hielt ich vergebens Ausschau, denn mittlerweile drehte nur noch ein einsames Fahrrad seine Runden auf dem Band. Plötzlich sprach mich ein Mitarbeiter der Gepäckstelle an, der aus meinem hilflosen Blick anscheinend ablesen konnte, dass etwas nicht stimmte. Er fragte mich wohl, ob er mir helfen kann, aber ich dachte in dem Moment nur: „Ganz egal, was Du mir da erzählst, sprich einfach weiter, Deinem Akzent könnte ich stundenlang zuhören!“ Ich drückte ihm die Abrisse meiner Gepäckzettel in die Hand, und nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte, runzelte er die Stirn und fragte: „Are you Mr. Vanhoegen?“ Ähhhhhm, nein! Tja, das sei dann wohl das Problem, denn mein Gepäck war von der Frau am Check-In Schalter einem Mr. Vanhoegen zugeordnet worden, dessen Reiseziel Palma de Mallorca war. Mein Gepäck war auf Mallorca? Zu jeder anderen Zeit und an jedem anderen Ort hätte mich so eine Nachricht wahrscheinlich völlig gefrustet, aber hier und jetzt konnte ich einfach nur darüber lachen. Irgendwas hatte ja schief gehen müssen, und so würde ich Zuhause auf jeden Fall was zu erzählen haben! Der hilfsbereite junge Mann – irgendwann in den darauf folgenden Tagen sollte ich erfahren, dass er Andy hieß, denn die Gepäckgeschichte sollte sich noch eine Weile hinziehen – gab meine Daten in den Computer ein, drückte uns dann einen Stapel Papierkram in die Hand, unter anderem auch ein Blatt, zu dem er hinzufügte, „I have no idea what it says, but it’s all German!“ und riet uns dann, morgen noch mal herzukommen, um nach dem Gepäck zu fragen.

Nur mit Laptop-Rucksack und Kamera-Tasche beladen, machte ich mich mit Bianca zur Bushaltestelle auf. Dass ich in diesem Urlaub jemals weniger zu tragen haben würde als Bianca, hätte ich auch nicht gedacht. Die Busfahrt in die Stadtmitte war ein seltsames Erlebnis. Wir wussten zwar, dass die dort alle auf der „falschen“ Straßenseite fuhren, aber es dann live zu erleben, war trotzdem eigenartig, vor allem, als der Bus „verkehrt herum“ in den ersten Kreisverkehr einbog, sind wir vor Schreck erst mal kurzfristig wieder hellwach geworden. Während die arme Bianca dann vor Müdigkeit immer wieder einnickte, konnte mich das nicht davon abhalten, ihr in ihren wachen Momenten zu erklären wo wir gerade waren und wie dieser und jener Berg dort drüben hieß. Obwohl ich noch nie dort gewesen war, kam es mir vor, als könne ich mich schon fast blind zurecht finden. Im vergangenen halben Jahr hatte meine Bettlektüre aber auch aus mehr Schottland-Reiseführern als aus Romanen bestanden. So hatte ich Stück für Stück unsere Reiseroute ausgetüftelt, und ich konnte es gar nicht erwarten, die ganzen Orte endlich in natura zu sehen.

Edinburgh hieß uns mit sommerlichen Temperaturen und strahlend blauem Himmel (Video) willkommen. Während wir uns auf den Weg zu unserem ersten Hostel machten, konnten wir beide immer noch nicht wirklich glauben, dass wir gerade wirklich durch Edinburghs Altstadt bummelten. Ich satge noch spaßeshalber zu Bianca, dass wir ja mal die Augen aufhalten könnten, ob wir zufällig über das „Elephant House Café“ stolpern, in dem Joanne Rowling den ersten Band von Harry Potter geschrieben hat. Keine zwei Minuten später standen wir direkt davor, das war fast gruselig. Wir nahmen uns vor, da später noch mal vorbei zu schauen und ein Beweisfoto zu machen. Bei der ersten roten Telefonzelle wurde natürlich auch erst mal alles abgestellt, und die ersten beiden Schottland-Fotos entstanden, an die sich noch mehrere hundert oder tausend Bilder anreihen sollten. Plötzlich packte Bianca mich am Arm. „Hör mal!“ sagte sie, und da hörte ich es auch: Dudelsackmusik, yippie! Das war genau der Anstoß, den wir gebraucht hatten. Jetzt wurde uns klar, dass wir WIRKLICH in Schottland waren, und alle Müdigkeit war vergessen. Die Musik kam von einem jungen, gut aussehenden Schotten in Kilt und Kniestrümpfen, der vor dem Gerichtsgebäude stand und Dudelsack (Video) spielte. Nachdem wir ihm genug gelauscht hatten, legten Bianca und ich die restlichen 300 Meter zum Hostel im Schneckentempo zurück, weil es soviel zu sehen gab. Wir knipsten abwechselnd mit meiner Kamera herum und hüpften grinsend durch die Gegend. Dabei fiel uns immer wieder auf, was wir schon am Flughafen bemerkt hatten: Die Schotten sind ein bemerkenswert höfliches Völkchen. Obwohl viel Betrieb auf den Bürgersteigen herrschte, schob man sich hier nicht einfach vorbei, sondern kündigte sich mit „Excuse me?“ an. Einmal lief ich beim Fotografieren unachtsam rückwärts und rempelte einen älteren Herrn an. Bevor ich überhaupt Luft holen konnte, um mich zu entschuldigen, lächelte ER mich an und sagte „Oh, I beg your pardon!“.

Ich hatte die Hostels von Zuhause aus via hostelworld.com gebucht und bei meiner Auswahl immer auf möglichst gute Bewertungen bei möglichst niedrigen Preisen geachtet. Unsere erste Nacht sollten wir im „Castle Rock Hostel“ der MacBackpacker’s verbringen. Es hat eine traumhafte Lage, direkt unterhalb des Schlossfelsens, mitten in der Altstadt. Von außen sah es ziemlich unauffällig aus, wir wären auch fast daran vorbei gelaufen, doch als wir durch die Eingangstür traten, konnten wir uns nur mit großen Augen umschauen. Rund um uns herum wand sich ein Treppenhaus in die höheren Etagen. Über Boden und Treppe zog sich ein roter, flauschig-dicker Teppich. In den Nischen standen Ritterrüstungen, und an den Wänden hingen Gemälde in schweren, dunklen Holzrahmen. Hätte eine der portraitierten Gestalten uns angesprochen oder hätten die Treppen angefangen, sich zu bewegen, hätten wir uns nicht mal gewundert. Wir kamen uns vor wie Zauberschüler, die zum ersten Mal das Treppenhaus in Hogwarts betraten.

Eine gut gelaunte junge Frau an der Rezeption erklärte uns, wie wir zu unserem Zimmer kämen und fügte hinzu, dass es für jedes Bett einen abschließbaren Spint und darin einen kleinen Safe für Wertsachen gäbe. Damit sei ihrer Meinung nach alles getan, um einen möglichen Diebstahl zu verhindern, aber falls wir dennoch Angst um einen Gegenstand hätten, sollten wir nicht zögern, ihn den Leuten an der Rezeption zur sicheren Aufbewahrung zu übergeben. Dieses Angebot nahm ich sofort dankend für meinen Laptop an, denn da sich das Netzteil sich gerade auf dem Weg nach Mallorca befand, nützte er mir momentan eh nichts. Anschließend drückte sie uns noch einen Stadtplan in die Hand, zeichnete die nächste Tourist-Information ein und auf meine Frage hin auch alle Cafés der Gegend, die sie empfehlenswert fand. Auf dem Weg in unser Zimmer mussten wir immer wieder schmunzeln. Alles in diesem Hostel war mit so winzigen und witzigen Details ausgestattet. Die Zimmer hatten nicht nur Nummern sondern auch Namen, ebenso die Betten in den einzelnen Zimmern. Wir waren im Währungszimmer untergebracht, und unsere Betten hießen Drachma und Rand. Das Zimmer war riesig groß, es standen 8 Etagenbetten darin. Hoffentlich schnarchte keiner unserer Zimmergenossen.

Wir verstauetn unser Gepäck unter den Betten und im Spint, betraten mit Geld und Kamera ausgestattet die Straße vor dem Hostel – und standen mitten im eiskalten Regen. Bianca wollte schon umdrehen, um sich ihre Regenklamotten zu holen (diese Option fiel für mich ja leider flach), aber ich meinte zu ihr, der Regen könne nicht lange anhalten, da es sehr windig war. Damit behielt ich Recht, und während unseres Streifzuges durch die alten Gassen präsentierte sich das Wetter mit einem bunten Gemisch aus Sonne, Wolken, Wind und Regen. Unsere hungrigen Mägen führten uns dann ausgerechnet zum Elephant House Café zurück, obwohl wir da eigentlich nur ein Foto machen wollten, da wir vermuteten, dass die Berühmtheit des Cafés sicher auch zu einer ordentlichen Preiserhöhung geführt hatte. Von drinnen wehte uns dann aber ein dermaßen köstlicher Duft entgegen, dass wir nicht anders konnten, als uns hinein zu setzen. Von den Preisen auf der Speisekarte waren wir dann echt überrascht. Für 4,50 GBP bekamen wir ein Glas Mineralwasser und die weltbesten Pizzataschen, ich schwör’s! Neben dem guten Essen konnte das Café noch mit einem hervorragenden Blick auf das Castle aufwarten und war innen auch sehr schnuckelig und gemütlich eingerichtet (Video). Beim Hinausgehen nahmen wir für 1 GBP noch ein Stück Fudge mit Nüssen und Früchten mit, das so groß war wie eine deutsche Nussecke. Dabei erfuhren wir, dass es in den meisten Cafés und Restaurants in Schottland einen Preisnachlass gibt, wenn man Essen mitnimmt, statt es vor Ort am Tisch zu verzehren.

Nach einer ausgiebigen – wenn auch völlig ziellosen – Wanderung durch Edinburghs Straßen kehrten wir erst mal ins Hostel zurück, wo wir auf der Stelle einschliefen, allerdings nur für eine dreiviertel Stunde, bis der erste unserer Zimmergenossen zur Tür herein polterte. Der kleine Power-Nap hatte uns aber neuen Schwung gegeben, und da uns von unserem Gewaltmarsch am Nachmittag schon wieder der Magen knurrte zogen wir noch mal los. Wir klapperten mehrere Cafés ab, aber alle waren entweder völlig verqualmt oder viel zu teuer, also sind wir schließlich doch wieder beim Elephant House gelandet, was übrigens komplett rauchfrei ist. Wir hatten Gemüsesuppe mit Brot und salziger Butter und Chili con Carne mit Nachos, und alles schmeckte wie selbstgemacht, ganz köstlich.

Da Bianca nach einer SMS ihrer Freundin Moe ziemlich aufgedreht war, machten wir nach dem Essen noch einen kleinen Spaziergang über den Greyfriar’s Friedhof, damit sie sich etwas beruhigen konnte. Auf dem Friedhof gab es tolle Grabmäler, und wir nahmen uns vor, am nächsten Tag noch mal vorbei zu schauen, sofern das Wetter wieder so herrlich werden würde wie heute.

[Enlothiens Rumpelkammer] [Ueber mich] [Auenland] [Tagebuch] [Rollenspiel] [Maerkte & Events] [Schottland 2008] [Tag 01] [Tag 02] [Tag 03] [Tag 04] [Tag 05] [Tag 06] [Tag 07] [Tag 08] [Tag 09] [Tag 10] [Tag 11] [Tag 12] [Tag 13] [Tag 14] [Tag 15] [Tag 16] [Hobbies] [Lesbar] [Schaubar] [Hörbar] [Igel] [Fotoalben] [Gaestebuch] [BUECHERREGAL]