Tag 02

Montag, 30.06.2008 (Tag 2)

Die ganze Nacht hatte ich insgeheim erwartet, dass es irgendwann „Platsch“ macht und Bianca an mir vorbei stürzt und auf dem Boden landet. Das obere Bett stand frei im Raum und hatte keinerlei Geländer. Trotzdem ist der erwartete Platscher ausgeblieben, und ich schlief erstaunlich gut. Die Matratzen im Castle Rock sind sehr weich, liegen aber nicht auf einem Lattenrost, sondern auf einem soliden Holzbrett, deshalb lag ich eigentlich richtig prima. Da die Uhren in Schottland eine Stunde hinter Deutschland her hängen, war ich um 6 Uhr wach und konnte nicht mehr schlafen. Um 8 Uhr gähnte mir dann auch Bianca ein „Guten Morgen“ entgegen. Im Castle Rock bekommt man für 1,80 GBP ein Frühstück, das aus einem Crossaint, einem Brötchen, einer Schale Müsli und einem Glas Saft besteht. Wir haben es zusammen mit den anderen Gästen im großen Frühstückssaal eingenommen, dessen Wände auch bis in die hinterste Ecke mit Fotos, Zeitungsartikeln und anderem Krimskrams beklebt sind. Sofas und Sessel geben dem Raum eine richtig heimische Atmosphäre. Nach dem Frühstück zogen wir unsere Betten ab und checkten an der Rezeption aus. Unser Gepäck durften wir für den Rest des Tages im gesondert gesicherten Gepäckraum abstellen, und auch meinen Laptop nahm die Rezeption noch mal freundlich an. Außerdem sagten sie uns, dass wir jederzeit weiterhin alle Einrichtungen des Hostels benutzen dürften.

Den Rest des Tages kam ich überhaupt nicht mehr zum Tagebuch schreiben, weil die Zeit einfach so dahin raste. Der Tag hatte drei große Highlights: Edinburgh Castle, links fahren und Scott’s View. Ja, ich bin Auto gefahren, aber dazu später! Mit leichtem Gepäck sind wir nach dem Auschecken erst mal zur Tourist-Information gelaufen und haben uns dort ein Explorer-Ticket von Historic Scotland besorgt. Eigentlich hatten wir eine Jahreskarte von Historic Scotland kaufen wollen. Ich hatte in meinem Reiseführer darüber gelesen: Eine Jahresmitgliedschaft bei HS kostet 38 GBP und beinhaltet freien Eintritt zu über 300 Sehenswürdigkeiten und Veranstaltungen, ein Heft mit Beschreibungen zu sämtlichen Sehenswürdigkeiten, 20% Rabatt in allen Shops von HS und 50% Preisnachlass bei allen Sehenswürdigkeiten von English and Walsh Heritage. Leider mussten wir in Edinburgh erfahren, dass wir so eine Jahreskarte im Voraus per Internet hätten erstehen müssen. Das Explorer-Ticket ist quasi die abgespeckte Version: Für 28 GBP kann man in einem Zeitrahmen von 14 Tagen an 7 beliebigen Tagen so viele von 70 ausgewählten Sehenswürdigkeiten besuchen, wie man möchte. Das war zwar weniger, als wir erhofft hatten, aber nachdem wir kurz durchgerechnet hatten, kamen wir zu dem Schluss, dass es sich trotzdem für uns lohnen würde.

Als erstes wollten wir Edinburgh Castle unsicher machen. Von unten sah es eigentlich recht klein aus, aber hinter den Burgmauern verbarg sich fast so etwas wie eine kleine Stadt (Video). Am eindrucksvollsten war der Ausblick über Edinburgh. Nach etwa zweieinhalb Stunden hatten wir sämtliche Winkel der Burg erkundet und hatten so schmerzende Plattfüße, dass wir uns entschieden, uns von Edinburgh jetzt schon zu verabschieden und den Flughafen anzusteuern, wo wir neben unserem Mietwagen hoffentlich auch mein Gepäck in Empfang nehmen würden.

Am Flughafen angekommen gingen wir dann auch gleich als erstes zu den „Baggage Facillities“ und trafen zum zweiten Mal auf Andy. Leider stellte sich heraus, dass Andy zwar sehr freundlich und hilfsbereit gewesen war, insgesamt aber noch etwas mit dem Computerprogramm überfordert war, da er gerade erst seine Ausbildung angefangen hatte. So hatte er zwar meine Gepäcknummern in den Computer eingetragen, leider aber in Kombination mit meinem Nachnamen und nicht mit „Vanhoegen“, auf den die Gepäckstücke ja ausgeschrieben waren. Immerhin konnte Andys tunesischer Kollege am PC erkennen, dass mindestens eins der Gepäckstücke tatsächlich in Palma angekommen war. Ich hoffte inständig, dass es meine Reisetasche mit all meinen Klamotten, Waschzeug und Ladekabeln sei. Sie sagten uns, sie würden hoffen, dass das Gepäck im Laufe des nächsten Tages einträfe, und dann würden sie es mir zum Hostel in Melrose liefern. Gestern hatte ich das Ganze ja noch lustig gefunden, aber langsam war ich ziemlich frustriert. Die Aussicht, noch einen dritten Tag ohne Strom, ohne Reiseführer, ohne Straßenkarten, ohne Nachthemd und ohne frische Unterwäsche verbringen zu müssen, war nichts, worauf ich mich freute.

Etwas zerknirscht machten wir uns zum Autoverleih auf. Langsam aber sicher bekam ich Muffensausen, und als ich rechts hinterm Steuer saß und außer den Pedalen wirklich alles auf der falschen Seite war, wurde es ganz schlimm. In der darauf folgenden Stunde war ich sooooo dankbar, Bianca auf dem Beifahrerseitz zu haben, sonst hätte ich den ersten Unfall schon nach wenigen Minuten gebaut. Ich muss sagen, das, wovor ich am meisten Panik gehabt hatte, nämlich die Momente, wo einem jemand auf der rechten Spur entgegen kommt, daran gewöhnt man sich irgendwie total schnell. Was viel schlimmer war, waren die eine Million Kreisverkehre, die sogar Schottlands Autobahnen pflastern, sofern A720 und Konsorten überhaupt Autobahnen sind. Schlimm war es auch, wenn wir auf eine Straße einbogen, auf der außer uns niemand fuhr. Dann vergaß ich nämlich grundsätzlich, links zu fahren, und anfangs kam uns mehr als einmal ein anderes Auto auf unserer Spur entgegen. Die größten Probleme hatte ich mit dem Fahrbahnrand. Ich war so daran gewöhnt, dass links neben mir das Auto zu Ende ist, dass ich immer wieder viel zu weit links fuhr und schon nach kurzer Zeit über den ersten Bordstein holperte. Zum Glück achtete Bianca meistens mit darauf und sagte mir früh genug bescheid (Video).

Mit Humpeln und Pumpeln und einigen Geisterfahrer-Situationen kamen wir nach etwa eineinhalb Stunden in Melrose an. Das Hostel war ein richtig schönes, freistehendes Steinhaus mit großen Fenstern und einem kleinen Beetstreifen rund ums Haus, auf dem üppig Rittersporn, Lupine und Kaiserlilie blühten. Der Staff war auch durchweg freundlich, und sie liehen uns sogar eine Karte der Umgebung aus, weil wir – obwohl ich von der abenteuerlichen Autofahrt noch immer ganz zittrig war – direkt noch mal losfahren wollten, weil das Wetter einfach dermaßen herrlich war, dass wir uns gleich am selben Abend noch „Scott’s View“ anschauen wollten. Davor sind wir aber noch mal kurz ins Dorf gelaufen, wo wir einen „Spar“ gefunden haben und uns erst mal mit Brötchen und Getränken eingedeckt haben. Dabei musste ich feststellen, was ich eigentlich schon wusste: Schottland ist teuer, und meine ersten 100 GBP gingen schon fast nur Neige, obwohl ich bisher nichts gekauft hatte, was nicht zwingend notwendig war!

Nach dem Einkauf brachen wir also zu Scott’s View auf, und als wir ankamen, konnten wir erst mal nur „wow...“ sagen. Dass Sir Walter Scott hier jedes Mal seine Pferde hatte anhalten lassen, konnte ich nur zu gut verstehen! Die Aussicht war einfach unglaublich. Vor uns erstreckte sich ein grünes Tal, durch das sich der River Tweed schlängelte, und am Horizont ragte düster der Eildon Hill auf, den ich schon aus dem alten Volksmärchen „Thomas the Rhymer“ kannte. Bianca verliebte sich direkt in die kleine Steinmauer, die die Schafweide von der Straße abgrenzte, und ich bewunderte die beiden knorrigen, alten Bäume, die dort wuchsen. Erst als uns langsam kühl wurde, setzten wir uns ins Auto und beobachteten, wie die Sonne immer tiefer sank und der Eildon Hill immer schwärzer wurde.

 

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