Tag 04

Mittwoch, 02.07.2008 (Tag 4)

Vergangene Nacht hat es eine ganze Weile kräftig geregnet, aber heute Morgen strahlte wieder die Sonne. So richtig trösten konnte mich das aber auch nicht, weil es jetzt langsam echt kritisch wurde mit meinem Gepäck. Bisher war es ärgerlich, aber ich kam relativ gut ohne meine Sachen klar, aber für die kommende Nacht war geplant, dass wir im Auto schlafen würden, weil die Hostels in Stirling zu teuer waren. Wie sollte ich das ohne meinen Schlafsack machen? Und morgen und übermorgen stand uns der Reiseabschnitt bevor, auf den ich mich am meisten gefreut hatte: Zwei volle Tage wandern und Bergsteigen am Loch Lomond! Dafür hatte ich extra den Trecking-Rucksack mitgenommen, ohne den ging das ja alles gar nicht. Und was am schlimmsten für mich war: Mein Handy-Akku war mittlerweile fast leer, und das Ladekabel war natürlich in der Reisetasche. Ohne Handy würde mich der Flughafen nicht mal mehr erreichen können, wenn mein Gepäck doch noch ankäme. Und – fast noch schlimmer – mein zweiter Kamera-Akku neigte sich auch dem Ende zu. Schottland ohne funktionierende Kamera wäre so ziemlich das schlimmste, was ich mir vorstellen konnte!

Weil es uns beiden keine Ruhe ließ, sind wir nach dem Frühstück erst mal wieder nach Edinburgh zum Flughafen gefahren, es lag eh auf unserem Weg nach Stirling. Ich hatte zwar keine große Hoffnung, dass meine Sachen da sein würden, aber fragen konnten wir ja mal. Also wieder zur Gepäckstelle, wo Andys Kollege und schon begrüßte wie alte Bekannte. Er bot mir sein Telefon an, um Jürgen un Deutschland anzurufen und schaute direkt mal wieder in seinem PC nach, um uns dann mitzuteilen, dass mein Gepäck gerade im Moment unterwegs von Palma nach Manchester sei und von dort weiter nach Edinburgh gebracht würde. Leider hatten wir ja geplant, in Stirling im Auto zu schlafen, aber da der Gepäckservice eine Adresse brauchte, wo er die Sachen hin liefern konnte, gab ich kurzerhand das einzige Hostel in Stirling an, welches mir einfiel, weil ich mir dachte, dass die Fahrt Stirling – Edinburgh – Stirling wahrscheinlich vom Sprit her auch nicht viel billiger kommen würde als die eine Übernachtung im Willy Wallace Hostel. Jürgen hatte inzwischen für mich mit Germanwings telefoniert und mit ihnen ausverhandelt, dass sie Kosmetika bis € 50, von Kleidungsstücken 50 % und alle Fahrt- und Parkkosten übernehmen würden, die wegen des Gepäckproblems entstehen würden. Na wenigstens etwas.

Wir bedankten uns bei dem netten Tunesier und brachen Richtung Stirling auf. Es dauerte eine Weile, bis mir bewusst wurde, dass mir das Autofahren seit heute Morgen plötzlich nicht nur keine Probleme mehr machte, sondern mir richtig Spaß machte. Ich benutzte ohne groß nachzudenken alle 3 Spiegel, schaute beim Rückwärtsfahren über die linke statt die rechte Schulter und überholte sogar schon problemlos Traktoren auf der Autobahn. Und mittlerweile hatte ich auch endlich Verkehrsschilder entdeckt! Die Schilder mit der Höchstgeschwindigkeit haben bloß nicht wie in Deutschland eigene Metallstangen, an denen sie befestigt sind, sondern kleben mal an einem Stromkasten, mal an einem Laternenpfahl oder einem Baum am Wegrand, und sie sind ungelogen nicht mal so groß wie ein Frühstücksteller!

Stirling gefiel uns überhaupt nicht! Die Stadt wird ja in allen Reiseführern als kleine Ausgabe von Edinburgh gepriesen, aber wir empfanden sie nur als hässlich, dreckig (und das, wo wir die schottischen Dörfer und auch die Städte bisher so für ihre Sauberkeit gelobt hatten), zugemüllt und... unfreundlich ist das falsche Wort, vielleicht trifft es „gestresst“ ganz gut. Alle hetzten und drängelten an uns vorbei, niemand hatte ein Lächeln übrig. Unser Hostel war auch nicht so wirklich sauber.

Nachdem wir unsere Zimmer gebucht hatten, gingen wir zurück zum Parkplatz und fragten ein paar Straßenarbeiter nach dem Weg zum Castle. Darauf folgte dann das einzige schöne Erlebnis in dieser Stadt: Sie fingen erst an, wild durcheinander zu erklären, bis einer von ihnen dann meinte, er würde uns einfach vorweg fahren, er hätte eh gerade Kaffee-Pause. So kamen wir also mit unserer eigenen Eskorte am Castle an, was den Parkplatzwächter ganz schön zum Schmunzeln brachte.

Das Castle hätte uns 10,50 GBP Eintritt gekostet, und wenn wir nicht das Explorer-Ticket gehabt hätten, hätten wir uns sehr geärgert. Im Vergleich zum Castle in Edinburgh ist es winzig. Das alleine ist ja noch nichts Schlimmes, denn auch kleine Burgen können ihren Reiz haben, siehe Eyneburg. Eigentlich hat Stirling Castle (Video) viel Potential, eine richtig tolle kleine Burg zu sein, der Blumengarten ist auch einfach traumhaft, aber wer immer da architektonisch in den letzten Jahren am Werk war, hat den ganzen Flair kaputt gemacht. Eine topmoderne neue Deckenvertäfelung in der Kapelle, die an ein Museum für moderne Kunst erinnert, billige Baulampen an der Decke eines ansonsten sicher sehr atmosphärischen Gewölbekellers, neue Betonfußböden oder Bauplatten in vielen Räumen... da weiß man die liebevollen Details, mit denen im Edinburger Castle die modernen Einrichtungen verkleidet wurden, erst richtig zu schätzen. Zumindest war der Ausblick von da oben aus sehr schön, und Bianca und ich haben zum ersten Mal einen Blick auf die Highlands werfen können. Fast schwarz und von Regenwolken vergangen zeigten sie sich am Horizont.

Das Wallace Monument haben wir auch nur vom Castle aus fotografiert, denn dort hinein und hinauf zu gehen, hätte noch mal Eintritt gekostet. Stattdessen sind wir nach dem Burgbesuch runter zum Fluss gefahren, wo wir die Old Bridge fotografiert haben, die mich von der einen Flussseite aus sehr an die Brücke des Mondlichts in „Mio, mein Mio“ erinnert hat. Gerade als wir mit fotografieren fertig waren, klingelte mein Handy, und Andy teilte mir freudestrahlend mit, dass „one of your bags“ jetzt angekommen sei, die zweite wäre bedauerlicherweise wohl in Palma vergessen worden. ARGH! Voller Panik fragte ich, welche Tasche denn angekommen sei und konnte dann erst mal aufatmen, weil es der Trolli war. Den Rucksack und den Schlafsack hätte ich zwar eigentlich morgen gebraucht, aber ohne die Sachen aus dem Trolli wäre ich nun wirklich nicht mehr länger ausgekommen. Ich fragte Andy, wann die Tasche denn hier in Stirling ankommen würde, und er sagte, er könne sie per Kurier erst morgen früh raus schicken. Morgen früh??? Da wollten wir früh morgens zum Loch Lomond aufbrechen! Also haben wir uns kurzerhand wieder ins Auto gesetzt und sind zurück zum Flughafen gefahren, um die Tasche abzuholen. Zum vierten Mal seit unserer Ankunft.

Zurück in Stirling haben wir tatsächlich einen der sehr spärlich gesäten kostenlosen Parkplätze am Straßenrand gefunden, nicht mal allzu weit vom Hostel entfernt. In Deutschland hätte ich mich nie getraut, einfach kreuz und quer durch eine fremde Stadt zu fahren, aber in Schottland kann man sich irgendwie gar nicht verfahren oder verlaufen. Wenn man mal eine Straße verpasst, in die man hätte einbiegen müssen, dann fährt man einfach weiter geradeaus, und nach ein paar hundert Metern kommt garantiert der nächste Kreisverkehr, wo man problemlos wieder umdrehen kann. Außerdem gibt es am Eingang jeder noch so kleinen Stadt und auch auf den Dörfern immer mindestens eine Tourist-Information, wo man einen kostenlosen Stadtplan und viele nützliche Hinweise bekommt. Dort gibt es auch immer die öffentlichen Toiletten, die so ziemlich überall vor Sauberkeit blitzen! Sowas wäre in Deutschland gar nicht möglich.

Wir haben unser Gepäck die gefühlten 3749125 Stufen zu unserem Zimmer im Dachgeschoss hochgewuchtet, was sicher zum Brüllen komisch aussah, weil wir ächzten und schnauften wie zwei alte Dampfloks. In unserem 8-Bett-Zimmer waren außer unseren Betten nur noch zwei weitere von zwei alleine reisenden Rucksack-Touristinnen aus England und Amerika belegt. Ich habe mich als Erstes mal auf meine Tasche gestürzt. Hach, das war wie Weihnachten! Ich wusste schon gar nicht mehr, was ich alles eingepackt hatte. Als mir mein Mittelalterkleid in die Hände fiel, musste ich aber doch ein bisschen seufzen. Das hätte gestern in beiden Abteien so wunderschöne Fotos abgegeben... Naja, wer weiß, was noch kommen würde!

Wir gingen dann noch runter in die Küche, haben jeder noch eine Schüssel Müsli gegessen und fasziniert beobachtet, wie die Mitglieder einer extrem dicken amerikanischen Familie insgesamt jeder 5 Portionen Essen in sich hinein stopften, von denen jede so groß war, dass ich wahrscheinlich die erste nicht geschafft hätte. Anschließend haben wir uns noch ein bisschen mit dem netten französischen Mädchen unterhalten, das Rezeptionsdienst hatte. Sie konnte sogar recht gut Deutsch von zwei Jahren Arbeit in Würzburg. Gegen zehn Uhr lagen wir im Bett, wobei Bianca aufpassen musste, sich nicht zu sehr zu bewegen, sonst wäre ihr morsches Bett wahrscheinlich zusammengekracht und hätte mich unter sich begraben.

 

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